Rückschau mit Aussicht – Der Kardinal, die Synodalität und die Schweiz

3. Apr. 2024

Synodalität ist anspruchsvoll. Im Kern geht es um Verständigung untereinander und im Hören auf Gott. In der Schweiz kommt hinzu, dass die Sprach- und Kulturvielfalt riesig ist und die Mentalitäten sehr unterschiedlich. Dennoch auf nationaler Ebene als Kirche gemeinsam unterwegs zu sein, braucht viel Verständigungsarbeit. Es gibt noch zu tun. Das zeigte der Besuch von Kardinal Grech, dem Generalsekretär der Synode, in der Schweiz.

Am 19. März 2024 war Kardinal Mario Grech, der Generalsekretär der Synode, in der Schweiz zu Gast. Die Schweizer Bischofskonferenz lud für den Nachmittag zu einem Austausch über Synodalität ein. Mitglieder der SBK, der RKZ, der Pastoralkommission und des Frauenrats der SBK, Synodalverantwortliche der Bistümer, Vertretungen der theologischen Fakultäten sowie die Schweizer Delegierten und Online-Delegierten an den synodalen Versammlungen auf europäischer und universalkirchlicher Ebene nahmen teil.

Die Begegnung und der Austausch mit Kardinal Grech waren eindrücklich. Sehr hoch geschätzt wurde das Interesse des Kardinals an der katholischen Kirche in der Schweiz.

Es war nicht selbstverständlich, dass der Kardinal die Schweiz besucht, zumal er im Rahmen des laufenden Synodalen Prozesses weltweit eine vielgefragte Persönlichkeit ist. Dass der Kardinal sich für die Schweiz Zeit genommen hat, ist all denen zu verdanken, die in den letzten Jahren dazu beigetragen haben, ihm die besondere kirchliche Situation und Struktur in der Schweiz zu erklären, vorzustellen und Neugierde zu wecken.

Der Vortrag von Kardinal Grech, in dem er die hauptsächlichen Anliegen der Synodalität erläuterte, fand sehr unterschiedliche Resonanz. Hier zeigten sich nicht zuletzt sprachregionale Unterschiede bei der Wahrnehmung von Themen und Begrifflichkeiten.

Der Kardinal stellte die Synodalität in den Kontext einer Kirche, die neu lernen muss, zu evangelisieren. Dazu müsse der Prozess der Synodalität als ein spiritueller Prozess verstanden werden. Der Begriff der Evangelisierung ist von vielen Teilnehmenden aus der Deutschschweiz eher negativ aufgenommen worden. Er wurde mit einem Konzept der „Neu-Evangelisierung“ assoziiert, das während des Pontifikats von Johannes Paul II. oftmals eher als Programm der Rückwärtsorientierung der Kirche verstanden worden war. Kirchliche Gruppierungen, welche die „Neu-Evangelisierung“ unterstützt hatten, wurden nicht selten als konservativ und gesellschaftlich abgrenzend wahrgenommen. Nicht zuletzt gab es in dieser Zeit auch Spannungen zwischen den Ebenen Pfarrei und „Neue geistliche Bewegungen“, die erst in den Nullerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts überwunden werden konnten, wozu damals eine Arbeitsgruppe der SBK einen wichtigen Beitrag geleistet hatte. Vor diesem Hintergrund wurde die Betonung der Evangelisierung der Kirche als Hintergrund der Synodalität von manchen als eher rückwärtsorientiert wahrgenommen.

Insbesondere Teilnehmende aus den anderen Sprachregionen der Schweiz konnten dagegen den Begriff der Evangelisierung sehr viel positiver füllen und entsprechend wohlwollender annehmen. Sie haben den Kardinal so verstanden, dass die Synodalität der Kirche helfen soll, sich so radikal zu verändern, damit sie wirklich in der Lage ist, für die Menschen in unserer Zeit und mit Blick auf ihre Hoffnungen und Ängste Zeugnis der frohen Botschaft zu geben. 

Die Kirche soll also in der Folge synodaler Reflexion eine innere Umkehr zu den Menschen vollziehen, um – in weiterhin synodalem Miteinander – die Frohe Botschaft immer neu zu entdecken und daraus zu leben. Evangelisierung in diesem Sinne ist dann keine Rückwendung zur Gestalt der Kirche von gestern, sondern der eigentliche Grund für den Aufbruch zu einer Kirche der Gegenwart und der Zukunft, der es gelingt, die Botschaft Jesu heute für die Menschen spürbar zu kommunizieren, entsprechend zu handeln, zu sprechen und sich für dieses Ziel passend zu organisieren. Mit diesem Hintergrund des Zuhörens wurde der Vortrag von Kardinal Grech als befreiend und ermutigend wahrgenommen.

Aus diesen unterschiedlichen „Hör-Erlebnissen“ folgten unterschiedliche Rückfragen. Die deutschsprachigen Fragen transportierten mehr oder weniger deutlich Enttäuschung über das Gehörte und sie gaben den hiesigen Erwartungen auf Reformen deutlich Nachdruck, namentlich wenn es um die Frage der Beteiligungsmöglichkeiten von Frauen und um die Verlagerung von kirchlichen Verantwortungsbereichen von der Universalkirche auf Regionen der Weltkirche und der Ortskirchen ging. 

Es ist schliesslich durchaus verständlich, dass z.B. die stärkere Beteiligung von Frauen nachdrücklich von denen unmissverständlich eingefordert wurde, die aus dem Munde des Kardinals das Programm der Synodalität als Fortführung eines traditionellen Kirchenbildes interpretiert hatten (obwohl man das Gegenteil erhoffte und erkennen glaubte).

Dieser Gesprächsverlauf führte wiederum beim Kardinal zu Engführungen seiner Antworten, weil er seinerseits wohl nur die Reformforderungen ohne ihren theologisch-spirituellen-evangelisationsbezogenen Hintergrund wahrgenommen hatte und zudem einer gewissen Loyalitätserwartung gegenüber vatikanischen Sichtweisen gerecht werden wollte – und musste, da ja der Synodale Prozess auch an manchen vatikanischen Stellen auf hartnäckige Gegner trifft.

Ein Resümee der katholischen Presse in der Deutschschweiz fasst somit für die deutschschweizerische Wahrnehmung treffend zusammen: „In Bern treffen sich Weltkirche und Lokalkirche – und verstehen sich nicht“, so die Überschrift des Tagungsberichts auf kath.ch – illustriert mit dem Bild eines eher unfreundlich sprechenden Kardinals.

Ganz anders dagegen ein Resümee der katholischen Presse in der Romandie. „Berne, le cardinal Mario Grech souligne l’élan missionnaire du Synode“ („Bern: Kardinal Mario Grech betont den missionarischen Geist der Synode“), so cath.ch – mit dem Bild eines freundlich-zugewandten Kardinals.

Man könnte problemlos auch noch einen Blick auf die Schlagzeile des italienischsprachigen katholischen Medienzentrums (catt.ch) wagen – und ebenfalls eine eigene Gewichtung feststellen.

Wenn man den Gesprächsverlauf auf der Folie synodaler Methodik interpretiert, so kann man sagen, dass die kulturell unterschiedlichen Hör- und Sprechgewohnheiten zum bleibenden Missverständnis beigetragen haben – eine Erfahrung, die insbesondere der ganze deutschsprachige Raum mit „Rom“ schon lange macht. Der synodale Ausweg aus diesem Aneinander-Vorbeireden wäre, das jeweils Gehörte auf unterschiedliche Bedeutungen hin zu befragen und in Rückfragen zu versuchen herauszufinden, wie es tatsächlich gemeint sein könnte. Beim seit Jahrzehnten für viele Ohren toxisch gewordenen Begriff der Evangelisierung dürfte dies eine Übung sein, die viel Zeit verlangt – aber notwendig ist.

Kurz: Der Anlass mit Kardinal Grech war eine wichtige und notwendige synodale Lernerfahrung. Wir stehen am Anfang eines Weges – und es gilt noch zu lernen, wie es besser gelingen kann, die anderen besser zu verstehen. Nur so können sich das gemeinsame Kirche Sein, das Kraftpotenzial des Glaubens und das Entdecken des Evangeliums für unser Leben entwickeln. Gerade in der Schweiz mit ihren unterschiedlichen Kirchenkulturen, nicht zuletzt auch durch die hohe Prägung aufgrund von postmigrantischer Vielfalt, sind das Erproben synodaler Formen und das Einüben synodaler Praxis auf allen Ebenen der Kirche unverzichtbare und chancenreiche Aufgaben. Der synodale Weg ist steil, aber er lohnt, gegangen zu werden.

(Arnd Bünker)

Copyright der Bilder: Stefan Maurer/ «pfarrblatt» Bern