Sterbenarrative – Erzählungen vom Sterben und Erzählungen Sterbender
Bericht von der nationalen, ökumenischen Tagung für Verantwortliche der Kirchen im Bereich Palliative Care am 9.9.2020 in Bern
Es gehört zu den Kernaufgaben der Seelsorge, Menschen in Todesnähe zu begleiten. Dabei gilt es auch die Wertschätzung des Gelebten als verborgenes Sinnpotential zu entdecken und zu würdigen. Die Tagung beleuchtete Sterbenarrative aus theologischer und literarischer Sicht und gab Einblick in Methoden der Narration, welche in der Seelsorge erprobt worden sind oder sich als Möglichkeiten anbieten.
Bischof Markus Büchel als Präsident der Pastoralkommission der SBK, und Esther Gaillard, Vizepräsidentin der EKS begrüssten die ca. 60 Teilnehmenden aus der ganzen Schweiz und bezeugten die Wertschätzung der Kirchenleitungen gegenüber der Seelsorge in Palliative Care.
Prof. Dr. Simon Peng-Keller von der Universität Zürich wies in seinem Beitrag auf die Wichtigkeit des Erzählens hin. Gerade am Lebensende kann ein Sterbenarrativ sinnstiftend sein. Dabei erinnert er auch an die Passionsgeschichten. Vor allem die Abschiedsreden Jesu im Johannesevangelium können als ein verbindendes Sterbenarrativ gesehen werden. Seelsorge wird zum Raum des Erzählens, wo auch sterbende Menschen der Essenz ihres Lebens begegnen können. Als Beispiel eines nichtbiblischen Sterbenarrativs erinnerte Peng-Keller an die Szene des sterbenden Winnetou.
Prof. Dr. Corina Caduff von der Fachhochschule Bern erläuterte literarische Sterbeberichte, wie sie in den vergangenen Jahren immer häufiger erscheinen. Sei es als Text-Blogs, als Video-Blogs oder als Bücher, es geht dabei immer um öffentliche Verlautbarungen des letzten Lebensabschnitts, bei dem sich die Menschen bewusst sind, dass sie eine limitierte Lebenszeit haben. Dabei wird auch das Ringen um spirituelle, religiöse Orientierung sichtbar. Nicht immer wird dabei das Religiöse als Trost erfahren. Caduff betonte, dass für viele Autorinnen und Autoren das Schreiben ein Wiedergewinnen der Selbstbestimmung ist, sowie ein Anschreiben gegen Isolation und Vereinzelung.
Am Nachmittag wurden drei praktische Methoden für Narration am Lebensende vorgestellt:
Michaela Forster erläuterte die sogenannte Würdetherapie von Chochinov, welche der Frage nachgeht, wie wir einem Menschen seine oder ihre Würde geben bzw. lassen können im Angesicht des Todes. Die Methode, welche am Kantonsspital St.Gallen seit zwei Jahren angeboten wird, arbeitet mit verschiedenen Fragen, welche es einem Menschen ermöglichen, auch in Krankheit und Sterben seine Lebensgeschichte als Ressource zu erfahren. Dies gelingt, weil das Erzählte gewürdigt wird, indem es aufgeschrieben und vorgelesen wird.
Von Helena Zweifel, der ehemaligen Geschäftsleiterin von Medicus Mundi, wurde «Memory Work» vorgestellt, eine Methode, welche vor allem in Afrika benutzt wird, um Aids-Betroffenen und ihren Familien eine psychosoziale Hilfe in Zeiten des Abschieds und Loslassens zu geben. Ein Memory-Book ist eine Hinterlassenschaft, welche vor allem Eltern ihren Kindern übergeben als Erinnerung an ihre Wurzeln. Die Memory-Box beinhaltet Erinnerungsstücke für die Nachfahren. Eine Methode, welche bei uns auch bei einer beginnenden Demenz wertvoll sein könnte.
Ein dritter Ansatz, welche Shirin Sotoudeh von der Universität Freiburg vorstellte, galt der Biographiearbeit, dem lebensgeschichtlichen Erzählen in Begleitung, Betreuung und Pflege als einem verdichteten Ausdruck des eigenen Lebens. Auch hier wurde klar, welchen Reichtum die Sprache hat und wie wichtig das achtsame Zuhören am Lebensende ist.
Abschliessend wurde vom Pastoraltheologen der Theologischen Hochschule Chur, Prof. Dr. Manfred Belok, noch einmal unterstrichen, wie wichtig es ist, zukünftige Seelsorgende vorzubereiten auf ihre Arbeit am Krankenbett und in einer Biographie unterstützenden Begleitung.
Jeanine Kosch, Fachstelle Palliative Care der Schweizer Bischofskonferenz
Folien und Abstracts der Tagung